Das von der Organisation der Vereinten Nationen seit Jahrzehnten
mehr oder weniger oktroyierte Programm für eine Einigung der
griechischen und türkischen Volksgruppen über Bedingungen einer
Wiedervereinigung geht seinem Höhepunkt entgegen, der allerdings
eigentlich ein Tiefpunkt ist. Das Programm animiert die zyprischen
Konfliktparteien dazu, sich in einem umfassenden Plan über alle
Punkte eines künftigen Zusammenlebens zu einigen. Bei den
Verhandlungen blieben die wesentlichen Bedingungen der
Staatlichkeit (Souveränität) „Zyperns“ oder zweier zyprischer
Teilstaaten, die Frage einer Garantie des zu vereinbarenden Status
durch die Türkei und die Zuweisung definierter Territorien an die
Teilstaaten „bis zuletzt“ ausgeklammert. Das Verfahren wurde mehr
oder weniger geduldig abgewickelt. Es führte zu einem ersten, nach
dem Generalsekretär der UN Annan benannten (unvollständigen)
Vereinigungsplan von 2004, der von den griechischen Zyprern
abgelehnt wurde, Die Verhandlungen wurden fortgesetzt, aber über
die Hauptfragen gibt es bis heute keine Einigung. Nun endete ein
letzter Einigungsversuch der Repräsentanten der zyprischen
Volksgruppen am Mt. Pélerin (Schweiz) vor einigen Tagen
ergebnislos. Um eine Einigung zu erzwingen, kommt wohl nur noch
eine Fünfer-Konferenz Griechenlands, der Türkei, Englands sowie
der griechischen und türkischen Republiken auf Zypern in Betracht,
die am 12. Januar 2017 beginnen soll.
br /> Es ist schon fragwürdig, das Ziel der Veranstaltung als „Wiedervereinigung“ zu bezeichnen. Denn wenn Zypern seit dem Mittelalter überhaupt jemals „vereinigt“ war, so als venezianischer oder genueser oder osmanischer Verwaltungsbezirk und (von 1878 bis 1959) als de facto und später de iure britische Kolonie. Auch die 1960 ins Werk gesetzte Gründung einer Republik Zyperns scheiterte, weil sich die griechisch-zyprische Führung, wie sie zeitgleich ausdrücklich bekannt gab, an die Gründungsbedingungen nicht halten wollte. Seit Jahrzehnten betreiben die UN die Wiederholung des Vereinigungsversuchs. Wenn aber die wesentlichen Bedingungen nicht ohne Mitwirkung Griechenlands, der Türkei und Englands vereinbart werden können, kann das zu vereinigende Zypern nur als eine Art zumindest partielles Kondominium von fünf Partnern entstehen - eine monströse Vorstellung, wohl ohne historisches Vorbild. Das Konstrukt wäre in noch stärkerem Maße als dasjenige von 1960 zu früherem oder späterem Scheitern verurteilt, zumal inzwischen die 1960 noch über die ganze Insel verteilt zusammenlebende griechisch- und türkisch-zyprische Bevölkerung seit 40 Jahren in zwei Territorien separiert und konzentriert wohnt und sich vollständig auseinandergelebt hat. Dabei hat sich der Anspruch der griechisch- zyprischen Bevölkerung auf Dominanz über die als Zyprer nicht gleichgeachteten und seit den 1950er Jahren verhassten Zyperntürken, der schon eine effektive Republikgründung 1960 verhindert hat, in 50 Jahren eher verfestigt. So monströs wie das Ziel ist das auf Einigung über tausend Einzelheiten des Zusammenlebens nach Art des mehrere 100 Seiten umfassenden „Annan-Plans“ von 2004 gerichtete Vereinigungsverfahren, aus folgenden Gründen: - Ohne eine von beiden zyprischen Volksgruppen ernsthaft getragene Einigung über die erwähnten höchst streitigen Grundfragen kann weder ein Staat „Zypern“ (auch nur als Bundesstaat) noch überhaupt dauerhafter Frieden um die Insel entstehen. - Das fragliche Plan-und-Vereinbarungs-Konvolut kann nicht ernsthaft als Gegenstand einer Einigung der Bevölkerung angesehen werden, weil ausgeschlossen ist, dass auch nur ein nennenswerter Teil der Bevölkerung den Inhalt zur Kenntnis nehmen und verstehen geschweige denn bewerten kann. - Ein solches Konvolut kann allenfalls als Tagesentscheidung aber nicht als ein für immer oder lange Zeit geltendes Grundgesetz gelten; ein Grundgesetz müsste sich im wesentlichen auf die Errichtung von Organen und ihr Verfahren für die jeweilige Staatswillensbildung sowie auf Grundrechte beschränken. - Selbst wenn sich Mehrheiten mit einem solchen Konvolut einverstanden erklären, wird nicht nur über die Auslegung des Konvoluts unendlicher Streit entstehen, sondern die griechische Volksgruppe wird das zum Anlass nehmen, über kurz oder lang wie seinerzeit mit Bezug auf die Staatsgründungsinstrumente von 1960 zu erklären, die Vereinbarung sei erstens „unworkable“ und zweitens oktroyiert und daher unverbindlich. - Es gibt keine Instanz, die zur Durchsetzung der Einhaltung der Konvolut-Vereinbarung legitimiert oder auch nur de facto in der Lage wäre. Das würde insbesondere für die Türkei als Garantiemacht gelten, nicht nur weil eine tatsächliche Durchsetzung von 1000 Punkten praktisch nicht vorstellbar wäre, sondern weil sich Durchsetzungsversuche der Türkei mit denselben völkerrechtlichen Einwendungen konfrontiert fände, die die „Familie der Nationen“ der Wahrnehmung bereits 1960 vereinbarter türkischen Garantierechte entgegengehalten hat. - Mithin ist damit zu rechnen, dass der Versuch, einen in den wesentlichen Punkten nicht ernsthaft von allen Zyprern getragenen, neu verhandelten Annanplan zu realisieren, zu massenhaftem Streit und schließlich zu Verfolgung, Blutvergießen und Ausgrenzung derselben Art und Genese führen würde wie die Streitigkeiten von 1963 ff. und 1974 ff. Voraussichtlich wird das Ergebnis einer Fünferkonferenz und auch einer etwaigen nachfolgenden Volksabstimmung oder des Versuchs, ihr Ergebnis in Wirklichkeit umzusetzen, zu nichts anderem führen als zu der bereits seit den 1960er Jahren am Beispiel Zyperns abzulesenden Erkenntnis, dass eine Staatsgründung nicht durch noch so viele Paragraphen oder Proklamationen sondern nur durch Errichtung einer dauerhaften, von der Bevölkerung wahrhaftig getragenen, tatsächlich souveränen Gewalt über ein definiertes Territorium und seine Bevölkerung möglich ist. Nach vernünftiger Prognose kann eine solche Gewalt auf absehbare Zeit nur über die zwei bestehenden separaten zyprischen Teilstaaten aufrechterhalten werden. Nur die volle Anerkennung der griechischen und türkischen Republiken auf Zypern kann (bei gewissen territorialen und/oder die Besiedlung betreffenden Zugeständnissen der türkischen Seite) Frieden stiften. Sie würde beiden Staaten auf die Dauer Anlass geben, sich auf ihre wirklich gemeinsamen Interessen zu besinnen, und nur sie kann auf dieser Grundlage schließlich zu einer Vereinigung in einem Bundesstaat Zypern führen. |